Verkehrte Welt? Müssen Kinder den Eltern Unterhalt zahlen?
Wer unterstützt die Eltern, wenn sie zum Beispiel durch kostspielige Pflege nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten? Müssen die Kinder dann einspringen? Diese Frage wird Rechtsanwalt Holger Schiller, der auch die Mitglieder des Verbands Wohneigentum NRW berät, oft gestellt. Seine Antwort: Es kommt darauf an!
Nach dem Gesetz (BGB) bestehen zwischen Eltern und Kindern gegenseitige Unterhaltsverpflichtungen. Das bedeutet: Auch Kinder sind dazu verpflichtet, ihren Eltern Unterhalt zu zahlen, wenn diese nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Juristisch spricht man dann vom Elternunterhalt.
Bedarf ist nicht gleich Bedürftigkeit
Im Einzelfall sind daher drei Aspekte zu prüfen:
1. Was der berechtigte Elternteil tatsächlich benötigt - das ist der Bedarf.
2. Was er selbst leisten kann (oder eben nicht) - hier spricht man von Bedürftigkeit.
3. Was das Kind als unterhaltsverpflichtende Person zu leisten im Stande ist - das ist die Leistungsfähigkeit.
Die Leistungspflicht des Kindes wird frühestens ab dem Zeitpunkt der Zustellung der sogenannten Rechtswahrungsanzeige durch den Sozialhilfeträger geprüft. Dabei fordert das Sozialamt die Kinder mittels eines Fragebogens auf, wahrheitsgemäß und vollständig Auskunft über ihr Vermögen und Einkommen zu erteilen. Mehrere Kinder haften nicht als Gesamtschuldner, sondern nur nach ihren individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Gesetzesänderung bringt Entlastung
Bis Ende des Jahres 2019 mussten Kinder für den Unterhalt ihrer Eltern einspringen, wenn ihnen ein monatliches Nettoeinkommen von mehr als 1.800 Euro (Alleinstehende) beziehungsweise 3.240 Euro (Verheiratete 1.800 + 1.440 Euro) zur Verfügung stand. Mit dem neuen Angehörigen-Entlastungsgesetz wurde der Unterhalt für Verwandte neu geregelt und Angehörige damit finanziell entlastet.
Seit Januar 2020 gibt es eine Einkommensgrenze von 100.000 Euro brutto pro Jahr. Verdienen Kinder weniger, müssen sie keinen Elternunterhalt zur Finanzierung der Pflege zahlen. In diesem Fall übernimmt das Sozialamt die Kosten.
Wann müssen Kinder zahlen?
Kinder von pflegebedürftigen Eltern werden folglich erst für ungedeckte Pflegekosten - wie Heimkosten - herangezogen, wenn ihr Jahresbruttoeinkommen über der gesetzlichen Grenze von 100.000 Euro liegt. Zum Einkommen zählen lediglich:
Bruttolohn aus einer Beschäftigung bzw. Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit
Einkünfte aus Vermietungen und Verpachtungen
Gewinn- und Kapitalerträge
Zum Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes zählen ferner auch Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und zusätzliche Geldleistungen des Arbeitgebers über den Arbeitslohn hinaus (Gratifikationen).
Schonvermögen
Auch beim Einsatz des Vermögens durch das unterhaltspflichtige Kind wird ein sogenanntes Schonvermögen gewährt. So erkennt das Amt Rücklagen für die eigene Altersvorsorge ebenfalls in angemessener Höhe an. Letztlich hängt Art und Umfang der Pflicht zur Verwertung des Vermögens von den individuellen wirtschaftlichen Umständen, der Höhe des Vermögens und dem Umfang der Zumutbarkeit ab. Wichtig: Das eigene Wohneigentum wird für den Elternunterhalt nicht herangezogen.
Verantwortlich: nur Verwandte 1. Grades
Das Einkommen der Schwiegerkinder spielt seit Januar 2020 aufgrund der neuen Gesetzeslage zudem auch keine Rolle mehr. Für die Berechnung des Elternunterhaltes bzw. der Bruttoeinkommensgrenze wird deren Gehalt nicht mehr herangezogen.
Zudem kann der Sozialhilfeträger Unterhaltszahlungen nur von Angehörigen einfordern, die mit dem Pflegebedürftigen im ersten Grad verwandt sind. Es können also nur die Kinder oder Eltern, nicht aber die Enkelkinder zur Unterhaltsfinanzierung verpflichtet werden. Auch für Geschwister, Cousins oder Onkel und Tanten besteht keine gesetzliche Pflicht, Pflegekosten füreinander zu übernehmen oder finanziell für den anderen einzutreten. Holger Schiller