Interview: Straßenausbaubeiträge

Bei einer Straßensanierung legen die Kommunen die Kosten gemäß der Straßenausbaubeitragssatzung auf die Anlieger um. Viele Landesverbände des Verbands Wohneigentum engagieren sich gegen die willkürliche Auslegung der Straßenausbausatzungen. Das Interview macht Probleme und konkrete Hilfestellungen durch den Verband deutlich.

1. Was sind Ihre hauptsächlichen Kritikpunkte an den Straßenausbaubeiträgen?

Bild: Tibor Herczeg
© Verband Wohneigentum Niedersachsen
Tibor Herczeg, Geschäftsführer Verband Wohneigentum Niedersachsen:Die Straßenausbaubeiträge führen zu einer punktuellen und häufig existentiell bedrohlichen Situation von Anliegern. Die Kommunen lassen über Jahrzehnte ihre Straßen "vergammeln" obwohl sie nach dem niedersächsischen Straßengesetz als Baulastträger das Eigentum an den Straßen haben und auch die Pflicht zur laufenden Unterhaltung. Dieser Pflicht wird aber mangels finanzieller Mittel nicht nachgekommen, sodass irgendwann nur noch eine Grundsanierung den Zustand der Straße verbessern kann. Das widerspricht der gesetzlichen Regelung. Auch die Heranziehung der Anlieger unter dem Gesichtspunkt eines wirtschaftlichen Vorteils ist nur ein Konstrukt, um die Anlieger veranlagen zu können. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils ist bei Straßenausbaubeiträgen vollkommen unpassend.

Bild: Siegmund Schauer
© Verband Wohneigentum/Khalil
Siegmund Schauer, I. Vizepräsident des Verbands Wohneigentum und bayerischer Landesverbandspräsident:Die Straßenausbaubeitragssatzungen der Länder (außer Berlin, Baden-Württemberg, künftig auch München) verstoßen gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil die Satzungen in den Kommunen willkürlich angewandt werden. Dadurch, dass die Kommunen Investitionen zu Lasten Dritter in Auftrag geben können, entsteht keinerlei Anreiz zu Wirtschaftlichkeit, sondern es führt im Gegenteil leider sehr oft zu einer gigantischen Steuer- und Abgabenverschwendung (Stichwort "Luxussanierung").
Dass es anders geht, belegt in Bayern zum Beispiel die Kommune Rednitzhembach, die durch ein intelligentes Straßenbaumanagement ihre Bürger von Straßenausbaubeiträgen verschont und dennoch ein gepflegtes Straßennetz besitzt.

2. Zu welchen Problemen kommt es in der praktischen Auslegung der Straßenausbausatzung? Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Siegmund Schauer: Manche Kommunen kommen ihrer Instandhaltungspflicht nach und belasten ihre Bürger nur im äußersten Notfall - und auch nur dann, wenn in Bürgerversammlungen vorher auf den unumgänglichen Neubau der Straße hingewiesen und die Folgen aufgezeigt wurden. Andere Kommunen lassen ihre Straßen bewusst "verlottern", da sie wissen, dass die Bürger bei einem später erforderlichen Neubau in die Pflicht genommen werden. Die dabei anfallenden Summen können Hausbesitzer in den Ruin treiben. In einer oberfränkischen Gemeinde verlangt die Kommune derzeit von den Straßenanliegern zwischen 12.000 und 67.000 Euro. Die zehn Betroffenen sind Normalverdiener und Rentner. Wer hat als Rentner schon so viel auf der hohen Kante oder bekommt gar noch einen Kredit? Nicht selten sind auch noch Kredite für den Hausbau zu bedienen!

Tibor Herczeg: Ein tatsächlicher Fall: Eine Straße mit zehn Anliegern soll als Anbindung an einen Bahnhof saniert werden. Kosten der Sanierung ca. 400.000 Euro. Bei zehn Anliegern wären das etwa 40.000 Euro pro Anlieger. Eine reine Oberflächenerneuerung kostet hingegen nur ca. 15.000 Euro. Diese müsste die Kommune selbst zahlen. Eine Anliegerin war eine ältere, alleinstehen Dame, die weder Rücklagen in Höhe von 40.000 Euro hatte, noch mittels Stundung den Betrag hätte aufbringen können. Der Verkauf des Hauses wäre unabwendbar gewesen. Das ist kein Einzelfall. Letztendlich konnte aufgrund des politischen Drucks eine Oberflächenerneuerung erreicht werden. Diese hält wohl ebenfalls 10 bis 15 Jahre. Die Eigenbeteiligung der Kommune wäre bei einer Sanierung deutlich höher gewesen.

3. Wie engagiert sich Ihr Landesverband?

Tibor Herczeg: Der Verband Wohneigentum Niedersachsen spricht sowohl mit der Landes- als auch Vertretern der Kommunalpolitik, um eine gerechtere Regelung über das Kommunalabgabengesetz für die Zukunft zu erreichen. Wir unterstützen die Anlieger bei Klagen und helfen bei öffentlichen Veranstaltungen zu dem Thema. Landesweit!

Siegmund Schauer: Der Verband Wohneigentum Landesverband Bayern versucht derzeit gemeinsam mit anderen Organisationen auf die Politik einzuwirken, dass die Möglichkeit des Erlasses von Straßenausbausatzungen aus dem Bayerischen Kommunalabgabengesetz entfernt wird. Sollte das nicht gelingen, ist an ein Volksbegehren mit dem gleichen Ziel gedacht.
Über unsere Rechtsschutzversicherung helfen wir zudem unseren Mitgliedern vor den Verwaltungsgerichten bei der Feststellung, ob die im Rahmen der Straßenausbaubeitragssatzungen ergangenen Bescheide stimmig und rechtens sind. Es ist leider Usus, dass in diese Bescheide Beträge hineingerechnet werden, die nichts darin verloren haben.

4. Was raten Sie betroffenen Anwohnern?

Siegmund Schauer: Wir raten allen Grundbesitzern, aufmerksam die Veröffentlichungen ihrer jeweiligen Gemeinde zu verfolgen. Über den Ausbau der Straßen entscheiden die dafür vorgesehenen Kommunalgremien. Hier kann man schon im Vorfeld über seine Stadt- und Gemeinderäte Einfluss nehmen, ob eine bestimmte Straße wirklich erneuert werden muss, wie erneuert wird und ob die Bürger zur Zahlung herangezogen werden. Oft genügt nämlich eine einfache Sanierung. Das vergessen mache Kommunen aber gern, weil sie die Kosten hierfür nämlich alleine tragen müssen.

Tibor Herczeg: Sind Ausbaumaßnahmen seitens der Kommune angedacht, sollten die Anwohner immer vorher mit Hilfe des Verbands Wohneigentum, wenn vor Ort möglich, einen politischen Kompromiss versuchen. Wenn Verwaltung und Politik nicht kooperieren, sollte die Möglichkeit einer Klage geprüft werden. Ein Risiko besteht dabei aber stets.

5. Sehen Sie eine politische Lösung?

Tibor Herczeg: Ja. Eine entsprechende Änderung des Kommunalabgabengesetzes ist möglich. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung eindeutig bestätigt, dass auch eine regelmäßige Abgabe geboten sein kann. Zum Beispiel können durch eine moderate Anhebung der Grundsteuer, die zweckgebunden für den Erhalt der Straßen eingesetzt werden soll, alle beteiligt werden. So erfolgt eine soziale und gerechtere Verteilung der Kosten für den Erhalt der Straßeninfrastruktur. Einige Kommunen praktizieren dieses Modell seit Jahren mit Erfolg.

Siegmund Schauer: Wir müssen unsere Politiker immer wieder an die Vorgaben erinnern, die der Kfz-Steuer und der Mineralölsteuer einmal zugrunde lagen. Mit der Kfz- und der Mineralöl-Steuer sollten die Autofahrer an den Kosten für den Bau und die Erhaltung des Straßennetzes beteiligt werden. Von den jährlich über diese Steuern eingenommenen rund 47 Milliarden werden aber nur gut 17 Milliarden für diesen Zweck, der Rest leider für alles Mögliche verwendet. Glaubt man den Fachleuten, wäre dem Straßenbau in der Bundesrepublik mit weiteren 6 Milliarden schon geholfen. Sollten diese nicht anderswo eingespart werden können?

Hinweis zum Datenschutz

Wir verwenden nur technisch notwendige Session-Cookies. Diese werden automatisch gelöscht, sobald Sie die Sitzung auf unseren Webseiten beenden und den Browser schließen.

Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Newsletter abonnieren
Der VWE-Newsletter
Wichtiges rund ums Wohneigentum
kostenlos, unabhängig & werbefrei, 1 x im Monat
Ihre Daten sind bei uns sicher. Wir nutzen sie nur für den Newsletter. Sie können sich jederzeit abmelden. Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.